Technik & Bildung: De-bug Special ‚Neustart Bildung‘

FYI – In der aktuellen Print-Ausgabe der De-bug findet sich ein Special ‚Neustart Bildung‘. Eine Zeitschrift über ‚Elektronische Lebensaspekte, Musik, Medien, Kultur & Selbstbeherrschung‘, die sich mit Bildung beschäftigt? Soweit sie sonst immer weit vorne sind: interessant! Wann die 4 Artikel online gestellt werden? Mal nachfragen, hier jetzt ein Überblick als Info:

(1) ‚Neustart Lernen – Wie Technik die Bildung verändert‘ – startet mit der Betrachtung der These, dass Technik neue, demokratischere Bildungsformen und Wissen transportieren kann (Reform durch Technik), die sich auch im allseits herausgestellten internet-based Machtverlust von (Bildungs-)Autoritäten wiederfindet.

Spannend wird es, wenn o.g. These mit der gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Krisenentwicklung zusammengebracht wird: Web 2.0-Prosumenten finden ihre Entsprechung in den vom pädagogischen Objekt zum selbstoptimierenden Subjekt gewandelten Lernenden, Studierenden oder sich Weiterbildenden. Bildung gerät zur permanenten Aufgabe des Subjekts, das in sich investieren muss, will es am Arbeitsmarkt (langfristig) teilhaben. Fortbildungen, Steigerung der Vermarktbarkeit und Selbst-Ökonomisierung sind das neue Credo. Da erlangt Medienkompetenz eine völlig neue Bedeutung: nicht die Ermöglichung von Kreativität, Produktivität, sondern die strategisch wichtige Bedienbarkeit von Maschinen, die zur lohnspendenden Selbsterhaltung beherrscht werden müssen, alternativlos. Nächste Betrachtung: Wissen als Machtfaktor und (digitale) Technik-Beherrschung bedingen sich und schreiben soziale Barrieren fort. Zeit und Geld müssen investiert werden, um in den Konkurrenzverhältnissen die Nase vorne zu behalten. Im Umkehrschluss ist Bildung das, was in die Schiene Selbstoptimierung passt, Werteverlust vorprogrammiert. Lösungsansätze dürfen gerne diskutiert werden!

(2) Das digitale Klassenzimmer – berichtet aus dem (Lern-)Alltag einer Berliner Schulklasse (Gymnasium), die einmal pro Woche Unterricht mit iPads hat, leider nur diese Stunde…; klingt bekannt, v.a. das „die fahren nicht erst 10 Min. hoch“-Argument inkl. des Vorsprungs der Schüler/innen beim Bedienen des Geräts.

(3) Hands-on! – Warum Hacken das bessere Lernen ist – berichtet von den teils internationalen Projekten zweier Workshop-Leiterinnen und Hackspace-Aktivistinnen, eine Dozentin und Assistenzprofessorin, die andere war Google-Entwicklerin, die die im ersten Artikel geschilderte womöglich sehr pessimistische Sicht auf Medienkompetenzvermittlung durch Hands-on Seminare für Kinder, aber auch Erwachsene ins Positive drehen: Bildung geschieht in der Technik-Beherrschung durch das Machen, Verändern, entgegen der ursprünglichen Intention benutzen und vor allem: für die konkreten Belange umbauen und umfunktionieren! Dieser Bildungsbegriff versucht die Fallstricke der technikvermittelten und -einsetzenden Systemlogik durch die Selbstermächtigung der Teilnehmer/innen zu vermeiden, Technik durch alternative Lernformen neu/anders zu verstehen und einzusetzen.

(4) Tools mit Klasse – schildert die Konflikte um (proprietäre) Formate, die Bereitstellung von Lehrinhalten nur für gerade die Apple-, Kindle-, SchulbuchverlagXY-Klasse und gleichzeitig damit: die Kämpfe um das Urheberrecht, digitale Kopien etc., also Abwehrkämpfe bekannter Branchen. Die technische Entwicklung ist rasant: kaum aus den Büchern raus (oder noch nicht mal…), entstehen immer weitere Formate, letztendlich kommen selbst die Verfechter/innen der Open Educational Ressources (OER) nicht hinterher. Neuestes Ding: adaptive (natürlich digitale) Schulbücher (s. SmartBook von McGrawHill), die entsprechend der Bearbeitung durch die Schüler/innen per Algorithmus dazulernen, Gamification zur Vermittlung von Lerninhalten, MOOCS und anderes aus der technischen Weiterentwicklung. Nur unpassend, dass mögliche Lern-Technik so viel schneller fortschreitet als die Einführung selbst des kleinsten Bausteins digital gestützten Unterrichts in die Lehrpläne!

Die Artikel sind auf der Höhe der Zeit, netztheoretisch werden Fragen aufgeworfen, die in digitale-Bildung-Communities oder -Gruppen sonst nicht so gestellt werden, interessant ist es allemal. Schade, dass diese 4 Artikel nicht auch gleich online verfügbar sind, die Redaktion stellt immer wieder einzelne ins Netz, also entweder warten oder zum gutsortierten Kiosk gehen.

Aus der Sicht eines Medienpädagogen finde ich die Auseinandersetzung mit der Fragestellung „Bildung zwischen Selbstermächtigung und Selbstausbeutung“ (S.28) interessant: sind wir nicht angetreten die emanzipatorischen Potentiale digitaler Technik zu vermitteln? Werden wir von Industrie und Arbeitsmarkt einfach überholt? Vermitteln wir nicht genau die Fähigkeiten, die aktuell dort gebraucht werden? Sicher, seit Baacke hat Medienkompetenz mit kritischem Reflektionsvermögen und der sozialen Dimension zu tun, innerhalb der (digitale) Technik angewendet wird. Nur zählt diese Frage kaum noch. Werden wir selbst mit dem fortschrittlichsten Lernen 2.0 Begriff nicht einfach zum Experimentallabor dessen Ergebnisse in bekannter Weise eben nicht zur Demokratisierung von Bildung eingesetzt werden?

Über B. Doerr
e-Learning Mitarbeiter, Medienpädagoge, Dozent, Berater für digitales Leben: digital unterstütztes Lernen, Medienbildung, web 2.0, Projekte, Fortbildungen, open source, social media, Linux, soziale Netzwerke

3 Responses to Technik & Bildung: De-bug Special ‚Neustart Bildung‘

  1. hier auch nochmals der ausführliche kommentar (danek für die anregung, das mal zu beantworten):

    ‘Neustart Lernen – Wie Technik die Bildung verändert’ (De:bug Artikel) – startet mit These, dass Technik neue, demokratischere Bildungsformen und Wissen transportieren kann (Reform durch Technik), die sich auch im allseits herausgestellten internet-based Machtverlust von (Bildungs-)Autoritäten wiederfindet.

    Spannend wird es, wenn o.g. These mit der gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Krisenentwicklung zusammengebracht wird:

    Web 2.0-Prosumenten finden ihre Entsprechung in den vom pädagogischen Objekt zum selbstoptimierenden Subjekt gewandelten Lernenden, Studierenden oder sich Weiterbildenden.
    >> War Bildung nicht scon immer genau das: „Selbstoptimierung“, um teilhaben zu können? Und Erfolg zu haben? Den gesellschaftlichen Apparat zu beherrschen (früher: Buchkultur, Büro usw.)?

    Bildung gerät zur permanenten Aufgabe des Subjekts, das in sich investieren muss, will es am Arbeitsmarkt (langfristig) teilhaben. [d.h. an der Gesellschaft langfristig teilhaben]
    >> Bildung IST eine permanente Aufgabe. Bildung IST ungemütlich. Sie war es schon immer.

    Fortbildungen, Steigerung der Vermarktbarkeit und Selbst-Ökonomisierung sind das neue Credo.
    >> Am prekären Arbeitsmarkt ist das Web nicht schuld. Es ist möglicherweise Teil derselben Entwicklung. Und natürlich kann und soll es dabei helfen, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Wenn man sie nicht gutfindet: dann politische Organisation. Wieder im Netz: wo sonst?

    Da erlangt Medienkompetenz eine völlig (??) neue Bedeutung: nicht die Ermöglichung von Kreativität, Produktivität, sondern die strategisch wichtige Bedienbarkeit von Maschinen, die zur lohnspendenden Selbsterhaltung beherrscht werden müssen, alternativlos.
    >> Aber das Bedienenkönnen von Maschinen und Apparaten, die den letzten Stand der sozioökonomischen Selbstorganisation darstellen, IST ja alternativlos.

    Wissen als Machtfaktor und (digitale) Technik-Beherrschung bedingen sich und schreiben soziale Barrieren fort.
    >> Soziale Barrieren schreiben sich per se fort. Wieso soll das schlimmer werden, wenn mit dem Web machtrelevantes Wissen plötzlich breiter verfügbar und übrigens auch transparenter wird?

    Zeit und Geld müssen investiert werden, um in den Konkurrenzverhältnissen die Nase vorne zu behalten. Im Umkehrschluss ist Bildung das, was in die Schiene Selbstoptimierung passt, Werteverlust vorprogrammiert.
    >> Ja: Was verloren zu gehen droht, ist der freie, kreative Überschuss. Bei näherer Betrachtung aber fragt sich: Ist das schlimmer als früher? Haben die Leute sich früher mehr und bereitwilliger „kreativ“ gebildet? Und bieten die neuen kreativen Möglichkeiten der digitalen Medien nicht in vieler Hinsicht eine ganz neue Qualität? Was also geht WIRKLICH verloren?

    Bildung geschieht in der Technik-Beherrschung durch das Machen, Verändern, entgegen der ursprünglichen Intention benutzen und vor allem: für die konkreten Belange umbauen und umfunktionieren! Dieser Bildungsbegriff versucht die Fallstricke der technikvermittelten und -einsetzenden Systemlogik durch die Selbstermächtigung der Teilnehmer/innen zu vermeiden.
    >> Ja: Bildung ist Selberdenken und dadurch auch Selbermachen. „Bediene dich deines Verstandes und deiner Fähigkeiten.“ Dem stand immer schon ein Top-down-Hier-werden-Sie-gebildet-Modell entgegen. Hat sich das irgendwie verschlechtert und verschärft?

  2. bdoerr says:

    Hallo, ein Kommentar zum Kommentar:
    >> Bildung IST eine permanente Aufgabe. Bildung IST ungemütlich. Sie war es schon immer.
    >> Aber das Bedienenkönnen von Maschinen und Apparaten, die den letzten Stand der
    >> sozioökonomischen Selbstorganisation darstellen, IST ja alternativlos.
    >> Je öfter ich diese Leier höre („Selbstoptimierung des Subjekts für die böse moderne Welt“)
    >> desto mehr nervt mich das. Ja, natürlich, was denn sonst? Was wollen wir den Leuten,
    >> angefangen mit uns selbst, denn sonst anbieten?

    Unterscheiden möchte ich den Ansatzpunkt des Artikels, der deutlich macht, dass der Druck zur Weiter-/Fort-/Bildung nicht nur immer größer wird, sondern offensichtlich unausgesprochen die technischen Fähigkeiten einbezieht, die Maschinen/Abläufe/Marktfelder weiterhin bedienen zu können. In grundständigen Schulen heißt so etwas „freiwilliges Engagement“ mit unbezahlter Mehrarbeit, Geräte-Nervereien und unzufriedenen Kolleg/innen.

    Unterscheiden vom emanzipatorischen Potential, das im Begriff Medienkompetenz einmal angelegt war, nun aber wohl verschwunden ist, weil die Anforderungen mit digitaler Technik umzugehen Allgemeingut geworden sind. Sicher sind kreative Prozesse noch möglich, Arbeiten außerhalb des verlangten Nachvollzugs. Aber warum sollten Medienpädagog/innen ihre Zielgruppen noch über das jeweilige Umfeld von Tools, Chancen und Fallstricke ‚aufklären‘, wenn diese Inhalte zum allgemeinen Curriculum gehören? Warum stehen sie dann nicht in Schulbüchern, wenn diese schon das Lernmittel Nr. 1 bleiben? Es geht um das Verschwinden von Freiräumen und die Ungleichzeitigkeiten des Bildungssystems.

    >> Soziale Barrieren schreiben sich per se fort. Wieso soll das schlimmer werden, wenn mit dem Web machtrelevantes Wissen plötzlich breiter verfügbar und übrigens auch transparenter wird?
    >> Ja: Bildung ist Selberdenken und dadurch auch Selbermachen. “Bediene dich deines Verstandes und deiner Fähigkeiten.” Dem stand immer schon ein Top-down-Hier-werden-Sie-gebildet-Modell entgegen. Hat sich das irgendwie verschlechtert und verschärft?

    Darin liegt ja gerade eine Chance: Informationen & Wissen transparent zu gestalten mit dem Anstoß zur Partizipation, nur wird diese Möglichkeit weder gesamtgesellschaftlich gestaltet, noch gezielt in schulische, berufsbildende oder universitäre Bildungssysteme aufgenommen. Hier steht immer noch das Top-down-Hier-werden-Sie-gebildet-Modell aufrecht. Könnte mittels „Technik“ anders sein, ist es aber nicht.

  3. Pingback: DE:BUG beendet Print-Leben | ::: digitalareal :::

Hinterlasse einen Kommentar