DeLFI 2012

Die 10. e-Learning Fachtagung Informatik – DeLFI 2012 – von der Fachgruppe e-learning der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) in der FernUniversität in Hagen veranstaltet, wartete mit einem vollen Programm auf, das gleich am ersten Tag mit meinem momentan bevorzugten (Reiz-)Thema „mobile learning“ als Workshop startete. Wie | hier | nachzuschauen und zu lesen, wurden mehrere Apps aus unterschiedlichsten Bereichen vorgestellt, die Lernziele mit Anwendungen auf mobilen Geräten erreichen wollten.

Bei den Nachfragen zu den Präsentationen haben allerdings Themen dominiert, die die didaktischen Szenarien mancher Apps hinterfragten: sind bspw. testbasierte Apps (Abfragen, Zuordnungen etc.) nicht wieder ein Rückgriff auf Konzepte des programmierten Unterrichts? Oder geht es noch weiter in Richtung von ‚drill and practice‘-Programmen? Wo bleiben die Besonderheiten z.B. von social media, die in der Diskussion um ihren Einsatz für das Lehren und Lernen stehen?

Während die Formulierung „Lernziele mit Anwendungen auf mobilen Geräten erreichen“ zu Beginn der folgenden Diskussion um eine Klassifizierung von Einsätzen mobilen Lernens noch als vage Begriffsbestimmung dienen konnte, stand am Ende das große Fragezeichen im Raum, was mobiles Lernen eigentlich sei. Der Hype und die kurzfristige Begeisterung für Anwendungen auf faszinierenden Geräten wird nicht weit tragen und die Frage nach dem Mehrwert stellt sich wie bei anderen Themen des e-Learnings.

Mobiles Lernen wird m.E. von mehreren Faktoren bestimmt und kann nur in einer Gesamtheit als solches gelten, vorbehaltlich unterschiedlicher Gewichtung:

  • Lernorte: das Lernen kann überall stattfinden;
  • Technik, Geräte, Plattformen: es ist elektronisch unterstütztes Lernen, je nach Begriff wäre sonst ein Bücherstudium ebenfalls mobiles Lernen, die Frage der Plattformen ist die nach der Komplementarität verschiedener Gerätesysteme und die nach der Weiterführung von Lernschritten auf unterschiedlichen Geräten nacheinander;
  • anwendende Organisation: es sind andere Lernprozesse in Unternehmen, Hochschulen und Universitäten, in Schulen oder außerschulischen Einrichtungen wirksam und beabsichtigt;
  • Zeiteinteilung: wie lange ist die Dauer einer Lerneinheit konzipiert? somit sind 10 Minuten (an der berüchtigten Bushaltestelle), aber auch 1 Stunde oder mehr möglich, wobei die Frage bestehen bleibt, ob lange Sessions an mobilen Geräten mit kleinen Displays sinnvoll sind oder nicht aus Überanstrengung abgebrochen oder individuell unterteilt werden;
  • sind die Lerneinheiten mobil abrufbar, d.h. ist die Plattform, das LMS o.ä. überhaupt mobil-fähig?
  • didaktisches Setting: zielt die Lerneinheit auf repetetives Lernen vs. ‚Sharing‘ von Lerninhalten und -prozessen oder gar kooperatives / kollaboratives Lernen?

Aus dieser Diskussion habe ich neben der Begriffsverwirrung den Impuls mitgenommen, dass es beim mobilen Lernen stark auf den Kontext ankommt und mobiles Lernen in den Alltag integriert werden muss, d.h. natürlich auch, dass mehr Anwendungen entwickelt werden und das Lernen auf einem mobilen Gerät weiter um sich greift. Im o.g. Blog fasst Dr. Rensing die Definition dankenswerterweise so zusammen: „Mobile Learning ist eine Form von Technology enhanced Learning in dem entweder ein mobiles Endgerät genutzt wird oder der Lernende selbst mobil ist und mit Geräten der Umgebung kommuniziert.“

Interessant ist es immer, mit unterschiedlichen Zielgruppen mobile Lernprozesse im Sinne eines situierten oder forschenden Lernens mittels Apps zu gestalten, sei es wie bei einem vorgestellten Projekt im Museum, in einer Grundschule oder mit Studierenden. Forschendes Lernen als Projekt mit Mobilgeräten zu initieren hat zumindest momentan wahrscheinlich keine Probleme die Lernenden für den Prozess zu motivieren, wie ich es nach der Veranstaltung (Dank an Marc Schakinnis für die Besprechung!) des Forum eLearning der Uni und der Fachhochschule Potsdam zum Thema einschätze.

Der zweite Tag startete mit einer bemerkenswerten Keynote von Prof. Dr. Ottmann über die „Historie“ von Vorlesungsaufzeichnungen und damit der wachsenden Integration der neuen Medien in die universitäre Lehre. Nach dem anfänglichen Abfilmen von Vorlesungen ging das Interesse in Richtung einer Durchsuchbarkeit von Filmmaterial, der Möglichkeit Filmstellen zu „taggen“ oder in einer Art Verzeichnis aufzulisten und in der neueren Entwicklung dahin, das Videomaterial m.E. seiner „Verbannung“ in die Linearität zu entreissen, d.h. es zustande zu bringen es zwar weiterhin linear als Film ablaufen lassen zu können, es aber gleichzeitig so aufzubereiten, dass seine Metainformationen permanent zugänglich sind, vergleichbar im Umgang mit (durchsuchbaren) Datenbankstrukturen oder Suchmaschinenalgorithmen. Dazu müssen wohl externe Programme auf Filmdaten zugreifen können, Videomaterial ist originär dafür nicht gemacht, die Entwcklungswege sind aber spannend. Dringend zu erwähnen: das Konzept des flipped/inverted classroom, das Prof. Spannagel in einer der folgenden Sessions vorgestellt hat und eine andere, m.E. intensivere Lernerfahrung schafft als die traditionelle Vorlesung (s. Posting zur „E(r)lernen“ e-Learning-Fachtagung an der HWR Berlin).

Den gesamten weiteren Tag bestritten Vorträge und Projektbeispiele aus dem von mir aufgesuchten Bereich „Kooperation/Kollaboration“ mit sehr vielen und interessanten Darstellungen und Verbesserungen des Lernens in Communities, dem Einsatz von Quiz in Grundschulen, der Erweiterung eines MediaWiki mittels einer semantischen Extension für den Einsatz strukturierter Daten im Wiki oder dem Einsatz digitaler Tafeln oder Tablets in der Lehre u.v.m. Es waren viele einzelne interessante Projekte und eine Flut von Informationen, anstrengend aber spannend!

Die Keynote des dritten Tages von Prof. Baumgartner von der Donau Universität Krems zum Thema  „Didaktischer Mehrwert von e-Learning: Analyse und Gestaltung didaktischer Vielfalt“ eröffnete nichts weniger als den Horizont den Mehrwert von e-Learning Szenarios mit einem Taxonomieschema, das didaktische Dimensionen in Kategorien unterteilt und damit didaktische Prinzipien ergibt, zu erhöhen. Der Hintergrund, eine Taxonomie zu entwerfen, ist die Reflexion, die didaktischen Modelle, v.a. für den Unterricht, aber auch für das e-Learning, sind alle zu abstrakt, es muss konkreter gefasst werden, wie das Lernen zum Lernenden kommt. Ich war von der Fülle, Stringenz und dem umfassenden Entwurf schwer begeistert und empfehle nach- oder weiter zu lesen im Buch: „Taxonomie von Unterrichtsmethoden: Ein Plädoyer für didaktische Vielfalt“.

Weiter ging es wiederum mit Projektvorstellungen (Best Papers), wobei mir persönlich das erste Projekt von der Universität Potsdam gefallen hat: RouteMe als pervasives Lernspiel für das Routing in Ad-hoc-Netzen. RouteMe (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Projekt aus Karlsruhe!) ist eine App, mit der Studierenden die Netzwerktechnik anhand eines Games vermittelt wird, d.h. Spieler/innen sind selbst die Elemente eines Netzwerks wie Knoten, Sender etc. Gleichzeitig ist es interessant, wie Netzwerktechnik als Lehrstoff didaktisch in der App aufbereitet wird: durch das jeweilige Spielprofil wird die zugrunde liegende Technik „persönlich“ erfahren, es kommt eine körperliche Erfahrung durch das Spielen hinzu, die als Wahrnehmungskanal in dieser Art in keiner Vorlesung zum Zuge kommt. Interessant wäre eine Evaluation bzw. Lerntests oder -kontrollen, ob und wie dieses didaktische Setting das Lernen befördert.

Die weiteren Vorträge brachten wiederum eine Vielzahl von interessanten Projekten von lernen-zu-lernen-Modellen über e-Lernkarten und Fragen der Kompetenzentwicklung durch „World of Warcraft“ bis hin zu 3-D Modellen für das e-Assessment oder als Lernumgebung. Gleichzeitig war ich ehrlich gesagt sehr stark abgelenkt durch die vorherige spannende Besprechung in der Mittagspause mit einer Professorin und ihrer Mitarbeiterin zum Thema meiner Masterarbeit im Bereich e-Learning; insofern ist die Titulierung des Themas „mobile Learning“ als Reizthema von Anfang des Artikels vielleicht verständlich…. ;-))

Mir hat die Tagung trotz und wegen des massigen Programms sehr viel Spaß gemacht, was vielleicht auch an meiner Technikaffinität zur Bearbeitung und Lösung von Themen und Aufgabenstellungen liegt, die in der Medienpädagogik sonst einen anderen Ort findet. Die nächste DeLFi findet im September 2013 an der Universität Bremen zusammen mit den Fachtagungen „Mensch und Computer“ und „Usability Professionals“ statt.

Über B. Doerr
e-Learning Mitarbeiter, Medienpädagoge, Dozent, Berater für digitales Leben: digital unterstütztes Lernen, Medienbildung, web 2.0, Projekte, Fortbildungen, open source, social media, Linux, soziale Netzwerke

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