[Buch] A. Richter: Supernerds – Gespräche mit Helden

Diesmal eine kleine aber feine Buchempfehlung: jede/r, der/die sich für die aktuelle Thematik des grenzenlosen Abhörens, Datensammelns und damit staatliche Überwachung interessiert, sollte die Interviews lesen. Die Theaterregisseurin Angela Richter hat sich mit teils erheblichem persönlichem Aufwand mit zahlreichen Whistleblowern getroffen oder bei Inhaftierten mehrere Chats organisiert, um sie mit einem guten Fingerspitzengefühl nach persönlichen Konsequenzen, Einschätzungen und politischen Perspektiven ihres Tuns zu befragen. Dabei werden die Persönlichkeiten derjenigen deutlich, die aufgrund ihrer moralischen, ethischen oder politischen Haltung ihre beruflichen Aktivitäten nicht nur nicht mehr länger ausüben konnten, sondern überzeugt davon waren, die Öffentlichkeit über illegales Handeln von Regierungsorganisationen informieren zu müssen.

Dazu zählen ehemalige Kriegsstrategen, technische Leiter, Datenanalysten, Wikileaks-Gründer Julian Assange oder eine ehemalige Anwältin des US Justizministeriums.

Rein subjektiv und aus diesem Blickwinkel neu für mich war die fast durchgängige Haltung amerikanischer Whistleblower mit ihrem Handeln den Schutz der Verfassung gewährleistet zu haben, während ihre eigenen Arbeitgeber sie durch die vorgeschriebenen Aufgaben verletzten. Insofern haben die Interviewpartner auch kein Problem damit, sich US-Patrioten zu nennen, denn sie sehen sich selbst als die Verteidiger ihrer Verfassung an und nicht diejenigen, die sie zwar als Aushängeschild und Vorwand nennen, aber gegen ihre Grundsätze verstoßen.

Zitat Thomas A. Drake: „Ich habe einen Eid darauf geschworen, die Verfassung zu unterstützen und gegen alle Feinde zu verteidigen. (…) Ich hätte nie damit gerechnet, dass meine Regierung mich zum Feind erklären, mich zum Sündenbock machen würde. (…) Das kriminelle Verhalten der Regierung anzuprangern wird zu einer strafbaren Handlung. Das kehrt die Rechtsstaatlichkeit komplett um.“

Eine zweite Besonderheit war es, dass einige der ehemaligen Insider in den Interviews unabhängig voneinander Grundzüge ihrer ehemaligen Jobs herausstellten, die ein völlig anderes Bild auf die Verbrechens- oder Terrrorismusbekämpfung mittels Überwachungsprogrammen oder der hier im Land umstrittenen Vorratsdatenspeicherung werfen:

  • den Institutionen ging es um mehr finanzielle Mittel für Ihren Apparat
  • die !allgemeine! Überwachung sollte ausgebaut werden, es musste möglich sein, noch mehr Daten zu sammeln, die die gesamte Bevölkerung betreffen
  • somit ging es nicht um die propagierte Verbrechens- oder Terrrorismusbekämpfung, sie diente nur als Vorwand
  • die Dienste wollten innerhalb der Regierungsorganisationen einen besseren Stand erreichen, d.h. sie beschäftigen sich mit sich selbst und nicht mit terroristischen Aktivitäten.

Eine nüchterne Erkenntnis: kein einziges Programm und keine Datensammelei hat auch nur einen einzigen Anschlag verhindert. Hingegen ist die Überwachung der gesamten Bevölkerung flächendeckend ausgebaut worden. Und zwar soweit, dass wirkliche Attentäter in der Datenflut untergegangen sind und die Anschläge durchführen konnten, obwohl es mehrere Hinweise auf sie gab oder sie bereits bekannt waren, wie bei dem Anschlag auf den Marathon in Boston. Die Veröffentlichungen und Verlautbarungen hier im Land deuten auf die gleiche Misere hin. Nur soviel zu Regierungsäußerungen aufgrund von Datensammlungen Verbrechen verhindern zu wollen.

Zitat Edward Snowden: „Wir tragen Milliarden und Abermilliarden von Daten zusammen und wissen, wen Oma auf ihrem Handy anruft und was sich Schüler für SMS schicken – während die wenigen bedrohlichen Akteure im Rauschen untergehen.“

Das Buch ist im Alexander Verlag Berlin erschienen und bei den üblichen Buch-Portalen und Buchhandlungen erhältlich.